FAQ’s Archäologie und Durchgangsbahnhof Luzern (DBL)
- Was bisher geschah
- Archäologische Rettungsgrabung
- Auswirkungen Rettungsgrabung auf Bau DBL
- Warum sind die Pfahlbauten so wichtig?
- Wie ist das Landschaftsbild entstanden?
Was bisher geschah
Im Jahr 2020 kam beim Bau einer Seewasserleitung die erste Fundstelle im Luzerner Seebecken zum Vorschein. (Artikel Berichte!21) Damit endete eine 100jährige Suche nach den urgeschichtlichen Siedlungen im Luzerner Seebecken, die mit dem Archäologiepionier Wilhelm Amrein 1921 mit Baggerungen im Vierwaldstättersee begann. Im Aushub des Leitungsgrabens kamen Pfähle und Keramikscherben zum Vorschein, die in die späte Bronzezeit um 1000 v. Chr. datieren. Das Besondere war, dass die Pfähle rund 1 bis 1.5 m von Sediment überdeckt waren.
Archäologische Voruntersuchungen beim DBL
Mit dem Wissen um die möglichen, tief im Seegrund verborgenen Fundstellen und den historisch gestiegenen Seespiegel wurde ab 2021 das geplante Trassee des Seetunnels des DBL untersucht – mit dem Fokus des Nachweises menschlicher Spuren. Dabei kamen unterschiedliche Methoden zum Einsatz:
Spezialisten des Paläoökologischen Institutes der Universität Bern entnahmen Bohrkerne entlang des Trassees. Wissenschaftler der Universität Kopenhagen untersuchten mit Hilfe eines Sedimentsonars den Seegrund. Die mehr als 20 m tief ins Sediment eindringenden Sonarwellen erzeugen ein Profilbild mit charakteristischen Störsignalen von Pfählen, Schiffwracks, Schichtabfolgen und sogar Silexartefakten. Schliesslich führten Taucher der Unterwasserarchäologie Zürich Handbohrungen durch.
Ergebnisse des Vorprojekts
Die angewandten Methoden lieferten Hinweise auf eine Fundstelle im südlichen Teil des geplanten Seetunnels. Die Bohrkerne enthielten eine organische Schicht mit Holzkohle, Keramikscherben und Silexsplitter. Die Schicht enthielt verbrannte Getreidereste und erhaltene Samen und Kerne von Sammel- und Kulturpflanzen wie Getreide, Lein, Holzäpfel, Beeren, Nüsse und andere. Die Radiokarbonmethode datiert die Schicht auf 3300 v. Chr.
Mit den Handbohrungen liess sich die Ausdehnung der Kulturschicht und somit der Fundstelle auf 1500 m2 eingrenzen. Davon liegt die Hälfte im Trassee des geplanten Seetunnels.
PalafittesNews!23
Ein Bohrkern wurde am Institut für Integrative Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie (IPNA) an der Universität Basel untersucht. Die Schichtabfolge der Sedimente ist wie folgt beschrieben und interpretiert:
-Tsunami von 1601: Einzig die sandigen Schichten könnten einen Hinweis auf dieses Ereignis liefern. In alten Schriftquellen ist der Tsunami eindrücklich überliefert. - Tsunami und Tanzverbot 1601 - Kanton Luzern
-Überschwemmung Krienbach: Im frühem Mittelalter um 650 n. Chr. musste sich ein Überschwemmungsereignis mit enormem Ausmass ereignet haben. Offenbar führte u.a. der Krienbach Schutt und Geröll in grosser Menge ins Seebecken.
-Anstieg Seespiegel: Ein dauerhafter Anstieg des Seespiegels hatte Auswirkungen auf das Landschaftsbild: Das ehemals trockenliegende Gebiet war nun bleibend unter Wasser und der Weysee ging im Luzerner Seebecken auf. (Siehe auch Kapitel Landschaftsbild.)
-Organische Schicht um 3300 v. Chr.: Die sogenannte «Kulturschicht», eine menschgemachte Abfallschicht, ist Teil der momentan ältesten nachgewiesenen Siedlung von Luzern. Aufgrund der mächtigen Überdeckung durch Sedimente und dem dauerhaft feuchten Milieu sind die organischen Reste sensationell gut erhalten. Daraus können wir sehr viel über die Menschen vor 5300 Jahren erfahren: Was assen sie, welche Haustiere hielten sie, welche Pflanzen sammelten sie, was für Getreide bauten sie an, welche Parasiten plagten sie, etc.?
Viele offene Fragen
Nebst den vielen Fragen zum Leben der damaligen Menschen ist auch diejenige zum Erscheinungsbild des Dorfes noch vollständig unbeantwortet. Pfähle und Bauhölzer als Überreste von Wohnhäusern, Böden, Palisaden und Wege werden zukünftig Hinweise liefern zur Grösse der Häuser, zu ihrer Nutzung als Wohn- und/oder Gewerbezwecken, zur Ausdehnung und Gliederung der Siedlung, zu ihrer Besiedlungsdauer und vieles mehr.
Beteiligte am Vorprojekt
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Archäologische Rettungsgrabung im Luzerner Seebecken
Wieso muss die Fundstelle gegraben werden?
Durch den Bau des Seetunnels für den DBL wird ein grosser Teil der Fundstelle unwiederbringlich zerstört. (Medienmitteilung vom 27.09.2023.) Daher muss sie in Form einer Rettungsgrabung vorgängig ausgegraben, sorgfältig dokumentiert, die Funde, wenn nötig konserviert, archiviert und die Fundstelle wissenschaftlich ausgewertet werden. Nur so bleibt sie der Nachwelt erhalten.
Weshalb ist das wichtig?
Das Luzerner Seebecken war bislang terra incognita für die Archäologie, da kaum erforschtes Terrain. Die Rettungsgrabung ist eine einmalige Chance, der Geschichte der Stadt Luzern ein wichtiges Kapitel hinzuzufügen, denn es handelt sich um die bislang ältesten Siedlungsspuren und die ersten dieser Art auf Stadtgebiet von Luzern. Dabei kann mit einer ausgezeichneten Erhaltung von organischen Funden gerechnet werden, die uns viele Informationen über das Leben der Menschen in der Jungsteinzeit und ihrer Umwelt liefern.
Wie wird die Fundstelle gegraben?
Aufgrund der Lage im See mit vier Meter Wassertiefe und dem weichen Sediment auf dem Seegrund wird der Tunnelbau unter Wasser ausgeführt. Eine Trockenlegung mit Caissonverfahren ist aus statischen Gründen nicht möglich. Deshalb ist die Rettungsgrabung als Tauchgrabung durchzuführen, die eine effiziente Grabungsmethode u.a. mit ausgebildeten Taucharchäologen, besonderen Sicherheitsvorschriften und passender Infrastruktur bedingt. Sie ist somit erheblich aufwändiger als eine Grabung an Land.
Was erwartet die Archäologie?
Die Ergebnisse aus der Voruntersuchung wiesen im südlichen Bereich des Tunnelverlaufs eine Abfallschicht nach, die von einer über 5000jährigen Siedlung aus der Jungsteinzeit stammt. Sie beinhaltet viel organisches Material wie Samen, Essensreste etc., welches für naturwissenschaftliche Untersuchungen verwendet werden kann. Ausserdem sind allerlei Funde von Alltagsgegenständen, Knochen von Wild- und Haustieren sowie Reste von Holz- oder Lehmbauteilen ihrer Wohnhäuser zu erwarten.
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Auswirkungen auf den Bau des DBL
Verhindert die Archäologie den Bau des DBL?
Nein. Obschon im Bereich des geplanten Seetunnels zahlreiche archäologische Funde nachgewiesen sind, soll der Bau ausgeführt werden. Es überwiegen hier die öffentlichen Interessen für einen Ausbau des Bahnhofs Luzern. Durch eine Rettungsgrabung sollen die archäologischen Funde für die Nachwelt aber bestmöglich gesichert und dokumentiert werden.
Werden die Grabungsarbeiten das Bauprojekt verzögern?
Die Planungen zum Grossprojekt DBL wurden vor etlichen Jahren gestartet und eine erste archäologische Einschätzung 2011 vorgenommen. Die Kantonsarchäologie Luzern ist seit 2018 im Planungsprozess involviert. Mit den laufenden Voruntersuchungen wird Klarheit bezüglich des archäologischen Potentials im Bereich des Seetunnels geschaffen. Die Grabungen sind im offiziellen Baustart des DBL eingeplant, so dass keine Verzögerungen des Bauprojekts zu erwarten sind.
Muss das Bauprojekt wegen der Archäologie angepasst werden?
Nein. Der Seetunnel tangiert zwar wertvolle archäologische Fundstellen wie Bereiche einer Pfahlbausiedlung und zahlreiche unbekannte Pfahlstrukturen. Die topographischen, geologischen und verkehrsgeographischen Verhältnisse erlauben aber wenig Spielraum bei der Linienführung der zukünftigen Ein- und Ausfahrt des Tiefbahnhofs. Deshalb wurde auf Anpassungen in der Linienführung verzichtet.
Wie hoch fallen die Kosten für die archäologischen Grabungsarbeiten aus?
Zum jetzigen Zeitpunkt kann noch keine genaue Kostenangabe gemacht werden. Momentan werden die letzten Voruntersuchungen geplant, um den genauen Umfang der archäologischen Rettungsgrabungen zu definieren. Da die Grabungen unter Wasser durchgeführt werden müssen, sind die Kosten im Vergleich zu einer üblichen Grabung an Land aber deutlich höher.
Wer bezahlt die archäologischen Grabungsarbeiten?
Die finanziellen Verpflichtungen bilden Gegenstand weiterer Abklärungen zwischen dem Kanton und der SBB als Bauherrin.
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Einzigartiger Einblick ins Leben der prähistorischen Zeit
Pfahlbauten sind die Reste von Siedlungen der Jungsteinzeit und Bronzezeit (ca. 4300–800 v. Chr.). Sie bestehen im Wesentlichen aus Pfählen – Reste der Bauten, Wege und Palisaden – und der Abfallschicht, die sich während der Besiedlung gebildet hat. Mit Hilfe des feuchten Milieus und des Einschlusses im Sediment haben sich organische Reste (Holz, Pflanzensamen, Textilien) ausserordentlich gut erhalten. Dank diesem einzigartigen Archiv können Landwirtschaft, Umwelt, Siedlungen und Handwerk dieser Zeit sehr detailliert analysiert und rekonstruiert werden. Deshalb bilden 111 Fundstellen aus der Schweiz, Deutschland, Österreich, Slowenien, Frankreich und Italien das UNESCO-Welterbe «Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen».
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Landschaftsbild
Warum lag der Seespiegel damals tiefer?
Die neu entdeckten Fundstellen im Luzerner Seebecken wie auch die 2003 entdeckte Fundstelle in Stansstad-Kehrsiten NW zeigen deutlich, dass der Seespiegel im Vierwaldstättersee vor Tausenden von Jahren rund 5-7 m tiefer lag als heute. Auf Luftbildaufnahmen kann man die ehemalige Uferlinie erkennen, die vom Tribschen bis zum Verkehrshaus führt. Deutlich erkennbar ist sie auf der Karte des Seetiefenmodells des Luzerner Seebeckens.Seetiefenmodell (lu.ch)
Seither stieg der See kontinuierlich an, was wohl auf natürliche Ursachen zurückzuführen ist: Beim Seeausfluss des Vierwaldstättersees muss sich die Reuss durch ein geologisches Engnis zwischen Bramberg und Gütschwald zwängen und wird gleichzeitig durch den Krienbach mit einem Geröll- und Schotterfächer bedrängt. Allmählich oder infolge einzelner heftiger Überschwemmungsereignisse staut sich der Seeausfluss, was den Seespiegel ansteigen lässt. Spätestens ab dem Frühmittelalter im 7./8. Jahrhundert n. Chr. liegt das ehemals trockene Land dauerhaft unter Wasser. Im Mittelalter beschleunigt die menschliche Bautätigkeit in und entlang der Reuss (u.a. Mühlen und Uferverbauung) den weiteren Seespiegelanstieg.
Der kontinuierliche Eintrag von Feinsediment durch Bäche, Ufererosion und Wind führt zur bis zu 2 Meter mächtigen Überdeckung dieser prähistorischen Siedlungen im Luzerner Seebecken. Das bringt Vor- und Nachteile: Bleiben einerseits die Hinterlassenschaften ihrer Bewohner ausgezeichnet erhalten, erschwert dies andererseits das Auffinden potentieller Fundstellen. Deshalb schlummern wohl weitere, bisher unentdeckte Siedlungen im Seebecken.
Gab es einen See vor dem See?
Im heutigen Seebecken lag in prähistorischer Zeit ein kleiner See, der sogenannte Weysee. Er ist auf dem Seetiefenmodell () erkennbar. Die neuentdeckte Fundstelle lag an seinem südwestlichen Ufer. Eine solche Lage ist typisch für urgeschichtliche Siedlungen: Die Bebauung am Wasser bietet Schutz, aber auch die Möglichkeit des Transports von Waren und Menschen über den Wasserweg, z. Bsp. mit Einbäumen, da dieser die schnellste Verbindung darstellt. Befestigte Wege, wie wir sie heute kennen, gab es damals noch nicht.
Wo verlief die Reuss in urgeschichtlicher Zeit?
Wo genau sich die Reuss vor 5300 Jahren ihren Weg durch das heutige Seebecken bahnte, bleibt momentan noch ungeklärt. In der Karte des Seetiefenmodells hat sie ihre Spuren nicht hinterlassen. Vermutlich hat sie ihren Lauf in den Jahrtausenden immer wieder geändert, mal durch den Weysee oder vielleicht mal weiter südlich unter dem heutigen Bahnhof. Die Untersuchungen im Zusammenhang mit der geplanten Rettungsgraben werden hoffentlich neue Informationen liefern.
Wieso wissen wir, wie die Umwelt um 5300 Jahren aussah?
Dazu stützen wir uns auf die Informationen, die die Geoarchäologie, Paläoökologie, Archäobotanik, aber auch das Seetiefenmodell und die Sonaruntersuchungen liefern. Jede einzelne dieser Disziplinen steuert ein kleines Puzzleteilchen bei und mit jeder weiteren Untersuchung wächst dieses Bild der Umwelt von damals zu einem ganzen. Ob es sich jemals vervollständigen lässt, ist wohl nicht realistisch. Das Ziel ist viel eher eine maximal mögliche Annäherung an die Wirklichkeit.
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